Kein Hauch von Flur und Wald

[69] Kein Hauch von Flur und Wald!

Vom Fluß ein Rauschen kaum!

Mein Schritt allein erschallt

Gedämpft im weiten Raum.


Ihr Sternenzwielicht gießt

Die Lenznacht erdenwärts,

Und ihre Frische fließt

Verjüngend an mein Herz.


Die wild in mir gestrebt,

Des Tags Begier, entweicht;

In meinen Adern schwebt

Das Leben licht und leicht.[69]


Fast ist's, als streifte kühl

Mir eine Geisterhand

Vom Haupte das Gefühl

Der Schwere, die mich band.


Und schauernd wonniglich

In dunkler Lüfte Schwall

Ergießt die Seele sich

Und schwimmt gelöst im All.

Quelle:
Emanuel Geibel: Werke, Band 2, Leipzig und Wien 1918, S. 69-70.
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